Innerhalb der Gattung Prog läßt sich allerdings ein spezifisches Charakteristikum ausmachen, welches eine mehr oder weniger gute Abgrenzung zu anderen Musikrichtungen zuläßt, nämlich die Art und Weise der Komposition und, damit verbunden, des Arrangements und der Instrumentierung.
Prog ist per definitionem das Gegenteil von puristisch. Es werden meist innerhalb eines Stückes viele Arten von Klangfarben verwendet, die einen symphonischen Gesamteindruck bewirken. Kombiniert mit melodischer und rythmischer Gegenbewegung (Kontrapunktik) ergibt sich für den nicht instrumental geschulten Hörer ein oft unentwirrbares Geflecht von musikalischen Linien, die er nur als Gesamtheit zu konsumieren in der Lage ist.
Es resultiert die bereits erwähnte subjektiv empfundene "emotionale Tiefe" in der Musik, die auch bei häufigem Hören anhält, da der Hörer immer neue Elemente im Soundgeflecht entdeckt, die unterhalb der beim ersten Hören wahrgenommenen Hauptmelodielinien verborgen sind und die, für den Hörer unterbewußt, die Musik durch ständig wechselnde harmonische Bezüge interessant und abwechslungsreich machen.
Als beeindruckendes Beispiel eines hervorragenden Zusammenspiels von Instrumentierung, Arrangement und kontrapunktischer Gegenbewegung möchte ich "Playing the Game" von Gentle Giants Album "The Power and the Glory" nennen. Hier ist diese aufwendige, von der klassischen Musik entlehnte Kompositionsweise in beeindruckender Konsequenz ausgeführt. In beinahe jedem Riff, jeder Melodie des Stückes finden sich Fragmente der Hauptthemen wieder und durch diese Selbstähnlichkeit ergibt sich eine formale Geschlossenheit der Komposition, die nicht nur akademisch analysiert, sondern auch emotional empfunden werden kann.
In bezug auf die Komposition im Prog ist der Vergleich der frühen Genesis und der frühen Marillion interessant. Von der Kritik wurden Marillion häufig als Kopie oder Wiedergeburt der frühen Genesis bezeichnet. Tatsächlich lassen sich starke Gemeinsamkeiten ausmachen.
Das Timbre der Sänger Gabriel und Fish ist recht ähnlich. Beide besitzen die Fähigkeit fließend von der normalen in die Kopfstimme zu wechseln. Weiterhin neigen beide Sänger dazu, hyperrealistisch zu intonieren mit starkem Gewicht auf Aussprache der Konsonanten und stimmlichen Übertreibungen, bis hin zur Persiflage (sehr deutlich z. B. in "Get ´em out by Friday" von Genesis und "Assassing" von Marillion). Zudem haben beide Bands einen ähnlichen Grundsound mit vielen Arpeggios und "Keyboard-Flächen".
Wesentliche Unterschiede ergeben sich, wenn man die Kompositionen betrachtet. Die Musik der alten Genesis, z. B. auf "Nursery Crime" oder "Foxtrot", ist sowohl in der Gesamtstruktur, als auch in der Detailauflösung wesentlich komplexer aufgebaut. Die zuvor genannten Stilmerkmale stellen quasi das klangliche Ideom dieser Musik dar. Marillion verwendet allerdings von der möglichen Vielfalt an musikalischen Ausdrucksmöglichkeiten hauptsächlich die als eher vordergründig zu bezeichnenden Komponenten.
"Skript for a Jester´s Tear" von Marillion ist z. B. aus recht klar voneinander abgegrenzten 2- bis 4- Akkordschemen aufgebaut, die meist in Form von Arpeggios gespielt werden, bisweilen in Breaks aufgelöst und meist zusätzlich unterlegt von Keyboardflächen der gleichen Akkorde. Die melodischen Ideen und Harmonien sind durchaus sehr ansprechend und zur damaligen Zeit auch noch recht originell gewesen, aber die Komplexität der Harmonie- und Melodieführung und das virtuose Dynamikspiel der alten Genesis erreichen Marillion selbst in besten Phasen nicht.
Ein Stück wie "Seven Stones" von Genesis kann erst durch sehr intensive Auseinandersetzung mehrerer Musiker/Komponisten, durch andauernde konstruktive Kompromißbildung aus den Einzelideen der Beteiligten entstehen. "Seven Stones" verwendet ebenfalls die genannten Stilmittel, aber eben wesentlich raffinierter ausgeführt. Zuerst einmal ist die musikalische Gesamtstruktur viel schwerer nachzuvollziehen, weil wir es nicht mit klar umrissenen Themen und Teilen zu tun haben, sondern mit einer Struktur, in der jedes Thema, jede Melodielinie die nächste Wendung, den nächsten Teil zwangsläufig zu ergeben scheint. Die Übergänge sind so gut ausgearbeitet, die Themen so gut verzahnt, daß keine definierten Anfänge oder Enden erkennbar werden und damit der Ablauf des Stückes für den Hörer kaum vorhersehbar wird. Sehr lange Passagen des Stücks stellen eine allmähliche melodische und harmonische Metamorphose dar, deren Struktur sich erst nach vielmaligem Hören erschließt.
Dennoch ist die Komplexität kaum merklich, dient immer dem Ganzen und verzichtet völlig auf vordergründige Effekthascherei. Die Harmonien sind sehr vielseitig und sicher einem langen Entwicklungsprozess unterworfen gewesen. All dies macht die alten Genesis Stücke so zeitlos.
Ich hoffe, daß ich mit meinen Ausführungen den Marillion Fanclub nicht allzusehr auf die Palme gebracht habe. Ich selbst habe die ersten 5 Marillion Alben in meiner Sammlung und manche der alten Sachen gefallen mir auch heute noch sehr gut (Incubus, Emerald Lies), aber diese genialische Tiefe der besten Stücke von Genesis, Yes, Gentle Giant, Jethro Tull haben sie für mein Empfinden nicht.
Im Prinzip würde ich das oben über Marillion gesagte auf fast alle Neo-Prog Bands (wie z. B. Pendragon, IQ und ähnliche) ausdehnen, die zum Teil hochgelobt und von der Kritik auf eine Stufe mit Bands wie Genesis und Yes gestellt werden.
Leider bieten diese Bands nur eine Neuauflage etablierter Stilelemente älterer Gruppen. Aber die Originalität allein würde für mich die obige Qualitätsdifferenzierung noch nicht rechtfertigen. Gäbe es eine Band, die stilistisch Genesis zum verwechseln ähnlich spielte, quasi deren gesamtes Ideom aufgesaugt hätte, aber deren Kompositionen den Originalen wirklich ebenbürtig wären, ich wäre sicher einer der ersten, der in den Plattenladen rennen und die CD kaufen würde.
Allerdings, eine genaue Kopie eines wirklich progressiven Kompositionsstils kann es prinzipiell eigentlich nicht geben. Eine Gruppe Komponisten nämlich, die zu derartigem fähig wäre, würde eine Vielfalt an Ideen und Ausdrucksformen einbringen, daß bei der wahrscheinlich hohen Komplexität des musikalischen Materials und der Vielzahl an Freiheitsgraden für jeden Beteiligten eine genaue Kopie eines vorhandenen Stils als Ergebnis mehr als unwahrscheinlich wäre.
Versucht man auf der anderen Seite, das Ideom einer Band genau zu kopieren, so geht dies nur, solange man sich auf von dieser Band bereits etablierten Boden bewegt. Niemand könnte dem Kopierer sagen, wie eine Weiterentwicklung des kopierten Stils aussehen darf. Verläßt der Kopierer dagegen das etablierte Terrain längerfristig nicht, so kann man kaum noch von progressivem Rock sprechen. So ist denn auch der Substitutbegriff "Neo-Prog" in bestimmten Kreisen negativ besetzt.
Beispiele für Bands die trotz einer starken Anlehnung an etablierte musikalische Ideome, aufgrund ihres wirklich progressiven Charakters aus dem Schatten ihrer Vorbilder heraustreten konnten, sind die schwedischen Bands Anglagaard und Anekdoten. Anekdoten klingen sehr stark nach den King Crimson der mittleren Siebziger und die Musik von Anglagaard wirkt bisweilen wie eine Aneinanderreihung von Instrumentalmittelteilen der alten Genesis.
Aber dadurch, daß jedes dieser Ideome ein extrem weites, offenes Feld von Ausdrucks- und Entwicklungsmöglichkeiten darstellt, können die Weichen in jedem Moment der Komposition umgestellt werden, und da jeder Mensch einen ureigenen Charakter besitzt, wird bei der Entwicklung sehr komplexer Eigenkompositionen zwangsläufig auch ein gewisses Maß an Originalität resultieren.
So geht die Musik von Anglagaard und Anekdoten bereits auf den jeweils auf das Debutalbum folgenden CDs deutlich eigene Wege und wird ihre Vorbilder schnell hinter sich lassen, sofern der progressive Geist und die notwendige Kreativität beibehalten werden können.
Die Komposition im Prog
Innerhalb der Gattung Prog läßt sich allerdings ein spezifisches Charakteristikum ausmachen, welches eine mehr oder weniger gute Abgrenzung zu anderen Musikrichtungen zuläßt, nämlich die Art und Weise der Komposition und, damit verbunden, des Arrangements und der Instrumentierung.
Prog ist per definitionem das Gegenteil von puristisch. Es werden meist innerhalb eines Stückes viele Arten von Klangfarben verwendet, die einen symphonischen Gesamteindruck bewirken. Kombiniert mit melodischer und rythmischer Gegenbewegung (Kontrapunktik) ergibt sich für den nicht instrumental geschulten Hörer ein oft unentwirrbares Geflecht von musikalischen Linien, die er nur als Gesamtheit zu konsumieren in der Lage ist.
Es resultiert die bereits erwähnte subjektiv empfundene "emotionale Tiefe" in der Musik, die auch bei häufigem Hören anhält, da der Hörer immer neue Elemente im Soundgeflecht entdeckt, die unterhalb der beim ersten Hören wahrgenommenen Hauptmelodielinien verborgen sind und die, für den Hörer unterbewußt, die Musik durch ständig wechselnde harmonische Bezüge interessant und abwechslungsreich machen.
Als beeindruckendes Beispiel eines hervorragenden Zusammenspiels von Instrumentierung, Arrangement und kontrapunktischer Gegenbewegung möchte ich "Playing the Game" von Gentle Giants Album "The Power and the Glory" nennen. Hier ist diese aufwendige, von der klassischen Musik entlehnte Kompositionsweise in beeindruckender Konsequenz ausgeführt. In beinahe jedem Riff, jeder Melodie des Stückes finden sich Fragmente der Hauptthemen wieder und durch diese Selbstähnlichkeit ergibt sich eine formale Geschlossenheit der Komposition, die nicht nur akademisch analysiert, sondern auch emotional empfunden werden kann.
In bezug auf die Komposition im Prog ist der Vergleich der frühen Genesis und der frühen Marillion interessant. Von der Kritik wurden Marillion häufig als Kopie oder Wiedergeburt der frühen Genesis bezeichnet. Tatsächlich lassen sich starke Gemeinsamkeiten ausmachen.
Das Timbre der Sänger Gabriel und Fish ist recht ähnlich. Beide besitzen die Fähigkeit fließend von der normalen in die Kopfstimme zu wechseln. Weiterhin neigen beide Sänger dazu, hyperrealistisch zu intonieren mit starkem Gewicht auf Aussprache der Konsonanten und stimmlichen Übertreibungen, bis hin zur Persiflage (sehr deutlich z. B. in "Get ´em out by Friday" von Genesis und "Assassing" von Marillion). Zudem haben beide Bands einen ähnlichen Grundsound mit vielen Arpeggios und "Keyboard-Flächen".
Wesentliche Unterschiede ergeben sich, wenn man die Kompositionen betrachtet. Die Musik der alten Genesis, z. B. auf "Nursery Crime" oder "Foxtrot", ist sowohl in der Gesamtstruktur, als auch in der Detailauflösung wesentlich komplexer aufgebaut. Die zuvor genannten Stilmerkmale stellen quasi das klangliche Ideom dieser Musik dar. Marillion verwendet allerdings von der möglichen Vielfalt an musikalischen Ausdrucksmöglichkeiten hauptsächlich die als eher vordergründig zu bezeichnenden Komponenten.
"Skript for a Jester´s Tear" von Marillion ist z. B. aus recht klar voneinander abgegrenzten 2- bis 4- Akkordschemen aufgebaut, die meist in Form von Arpeggios gespielt werden, bisweilen in Breaks aufgelöst und meist zusätzlich unterlegt von Keyboardflächen der gleichen Akkorde. Die melodischen Ideen und Harmonien sind durchaus sehr ansprechend und zur damaligen Zeit auch noch recht originell gewesen, aber die Komplexität der Harmonie- und Melodieführung und das virtuose Dynamikspiel der alten Genesis erreichen Marillion selbst in besten Phasen nicht.
Ein Stück wie "Seven Stones" von Genesis kann erst durch sehr intensive Auseinandersetzung mehrerer Musiker/Komponisten, durch andauernde konstruktive Kompromißbildung aus den Einzelideen der Beteiligten entstehen. "Seven Stones" verwendet ebenfalls die genannten Stilmittel, aber eben wesentlich raffinierter ausgeführt. Zuerst einmal ist die musikalische Gesamtstruktur viel schwerer nachzuvollziehen, weil wir es nicht mit klar umrissenen Themen und Teilen zu tun haben, sondern mit einer Struktur, in der jedes Thema, jede Melodielinie die nächste Wendung, den nächsten Teil zwangsläufig zu ergeben scheint. Die Übergänge sind so gut ausgearbeitet, die Themen so gut verzahnt, daß keine definierten Anfänge oder Enden erkennbar werden und damit der Ablauf des Stückes für den Hörer kaum vorhersehbar wird. Sehr lange Passagen des Stücks stellen eine allmähliche melodische und harmonische Metamorphose dar, deren Struktur sich erst nach vielmaligem Hören erschließt.
Dennoch ist die Komplexität kaum merklich, dient immer dem Ganzen und verzichtet völlig auf vordergründige Effekthascherei. Die Harmonien sind sehr vielseitig und sicher einem langen Entwicklungsprozess unterworfen gewesen. All dies macht die alten Genesis Stücke so zeitlos.
Ich hoffe, daß ich mit meinen Ausführungen den Marillion Fanclub nicht allzusehr auf die Palme gebracht habe. Ich selbst habe die ersten 5 Marillion Alben in meiner Sammlung und manche der alten Sachen gefallen mir auch heute noch sehr gut (Incubus, Emerald Lies), aber diese genialische Tiefe der besten Stücke von Genesis, Yes, Gentle Giant, Jethro Tull haben sie für mein Empfinden nicht.
Im Prinzip würde ich das oben über Marillion gesagte auf fast alle Neo-Prog Bands (wie z. B. Pendragon, IQ und ähnliche) ausdehnen, die zum Teil hochgelobt und von der Kritik auf eine Stufe mit Bands wie Genesis und Yes gestellt werden.
Leider bieten diese Bands nur eine Neuauflage etablierter Stilelemente älterer Gruppen. Aber die Originalität allein würde für mich die obige Qualitätsdifferenzierung noch nicht rechtfertigen. Gäbe es eine Band, die stilistisch Genesis zum verwechseln ähnlich spielte, quasi deren gesamtes Ideom aufgesaugt hätte, aber deren Kompositionen den Originalen wirklich ebenbürtig wären, ich wäre sicher einer der ersten, der in den Plattenladen rennen und die CD kaufen würde.
Allerdings, eine genaue Kopie eines wirklich progressiven Kompositionsstils kann es prinzipiell eigentlich nicht geben. Eine Gruppe Komponisten nämlich, die zu derartigem fähig wäre, würde eine Vielfalt an Ideen und Ausdrucksformen einbringen, daß bei der wahrscheinlich hohen Komplexität des musikalischen Materials und der Vielzahl an Freiheitsgraden für jeden Beteiligten eine genaue Kopie eines vorhandenen Stils als Ergebnis mehr als unwahrscheinlich wäre.
Versucht man auf der anderen Seite, das Ideom einer Band genau zu kopieren, so geht dies nur, solange man sich auf von dieser Band bereits etablierten Boden bewegt. Niemand könnte dem Kopierer sagen, wie eine Weiterentwicklung des kopierten Stils aussehen darf. Verläßt der Kopierer dagegen das etablierte Terrain längerfristig nicht, so kann man kaum noch von progressivem Rock sprechen. So ist denn auch der Substitutbegriff "Neo-Prog" in bestimmten Kreisen negativ besetzt.
Beispiele für Bands die trotz einer starken Anlehnung an etablierte musikalische Ideome, aufgrund ihres wirklich progressiven Charakters aus dem Schatten ihrer Vorbilder heraustreten konnten, sind die schwedischen Bands Anglagaard und Anekdoten. Anekdoten klingen sehr stark nach den King Crimson der mittleren Siebziger und die Musik von Anglagaard wirkt bisweilen wie eine Aneinanderreihung von Instrumentalmittelteilen der alten Genesis.
Aber dadurch, daß jedes dieser Ideome ein extrem weites, offenes Feld von Ausdrucks- und Entwicklungsmöglichkeiten darstellt, können die Weichen in jedem Moment der Komposition umgestellt werden, und da jeder Mensch einen ureigenen Charakter besitzt, wird bei der Entwicklung sehr komplexer Eigenkompositionen zwangsläufig auch ein gewisses Maß an Originalität resultieren.
So geht die Musik von Anglagaard und Anekdoten bereits auf den jeweils auf das Debutalbum folgenden CDs deutlich eigene Wege und wird ihre Vorbilder schnell hinter sich lassen, sofern der progressive Geist und die notwendige Kreativität beibehalten werden können.